Verfassungsbeschwerde ./. Pforzheimer Justizwillkür(2)
III. Begründetheit der Verfassungsbeschwerde

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, weil die angefochtenen Beschlüsse den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten verletzen.

A. Meinungsäußerungsfreiheit, Art.5 I 1, 1. Alternative GG

1) Schutzbereich
Der Beschwerdeführer ist vom persönlichen und sachlichen Schutzbereich des Art.5 I GG erfasst. Vorliegend geht es um eine kritische Auseinandersetzung des Beschwerdeführers mit dem Thema „Sperrliste“, in deren Rahmen er den Link gesetzt hat, welcher Anlass für die Anordnung der Durchsuchung gegeben hat.

Der Begriff Meinung gemäß Art.5 GG ist grundsätzlich weit zu verstehen . Eine kritische Auseinandersetzung ist als Werturteil im Sinne des Art.5 I GG einzustufen . Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Meinung abwegig ist , wertlos erscheint oder besonders polemisch formuliert ist .

Alleine die Einstufung als Werturteil ist ausreichend, um vom Schutzbereich des Art.5 I GG erfasst zu sein .

Auch wenn noch nicht restlos geklärt ist, wie Mitteilungen von Tatsachen im Rahmen des Art.5 GG zu sehen sind : Jedenfalls sind Tatsachenbehauptungen dann unstreitig erfasst, sofern sie Voraussetzung zur Bildung von Meinungen sind .

Dem Beschwerdeführer ging es darum zu vermitteln, dass der Missbrauch von Sperrlisten der Exekutive im Internet naheliegend ist und bereits praktiziert wird. Der Hinweis auf eine kursierende Liste im Volltext, die eben dies belegt bzw. belegen soll, ist eine solche Tatsachenbehauptung.

Dabei ist bis heute davon auszugehen, dass die publizierte Liste keine Fälschung ist, jedenfalls sind Anbieter und Beschwerdeführer von der Echtheit der Liste überzeugt. Die Ausnahme, die das BVerfG bei bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen macht , greift daher nicht. Ansatzpunkt ist dabei nämlich das Bewusstsein der Unwahrheit , was hier nicht vorliegt.

Der sachliche Schutzbereich des Art.5 I GG ist somit eröffnet.

v.Münch Art.5 Rn.8
Jarass/Pieroth, Art.5 Rn.3; Sachs Art.5 Rn.25; v.Münch Art.5 Rn.8
BverfGE 30, 336, 347; Sachs Art.5 Rn.25; v.Münch Art.5 Rn.8
v.Münch Art.5 Rn.8
BVerfGE 61, 1, 7
Zippelius/Würtenberger 26/38; v.Münch Art.5 Rn.8
v.Münch Art.5 Rn.9
BVerfGE 94, 1, 7; Sachs Art.5 Rn.27; v.Münch Art.5 Rn.9
BVerfGE 99, 185, 197; Sachs Art.5 Rn.28; v.Münch Art.5 Rn.10
Zippelius/Würtenberger 26/38; Sachs Art.5 Rn.28; v.Münch Art.5 Rn.10


2) Eingriff in den Schutzbereich
Als Eingriff ist jede Anordnung zu sehen, die die Meinungsäußerung bzw. Verbreitung verbietet, behindert oder gebietet .

Die Anordnung des Amtsgerichts erging ausdrücklich, weil der Beschwerdeführer den beanstandeten Link gesetzt hat, also gerade wegen seiner Meinungs- und Tatsachenbehauptung. Somit handelt es sich nicht nur um einen mittelbaren Eingriff, sondern sogar um einen finalen, denn ohne die Meinungsäußerung ist davon auszugehen, dass der Beschluss gar nicht erst ergangen wäre.

Es ist dabei ohne Bedeutung, dass die ursprüngliche Meinung zumindest geäußert werden konnte: Da die Verbreitung der Meinungsäußerung mit geschützt ist , aber aufgrund der Gefahr einer Hausdurchsuchung kaum jemand die Webseite noch verlinken wird – es wäre ja wieder ein mittelbarer Link, der laut Amtsgericht einen Verdacht begründet – ist die weiterhin geschützte Verbreitung erheblich eingeschränkt, wenn nicht gar unmöglich gemacht.

Darüber hinaus muss der Beschwerdeführer nun bei jeder zukünftigen Berichterstattung über dieses Thema abwägen, ob er erneut das offenbar große Risiko eingeht, eine Durchsuchung samt Beschlagnahme seiner Computer zu provozieren, angesichts dessen er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr unbefangen von seinem Recht Gebrauch machen wird.

Ob diese Folge durch die Anordnung der Durchsuchung gewollt war oder nicht, kann dahin stehen, da diese teilweise Unmöglichkeit der Grundrechtsausübung mindestens das faktische Ergebnis staatlich zurechenbaren Verhaltens ist. Ein solcher faktischer Eingriff wird ebenfalls berücksichtigt .

Ein Eingriff liegt also vor.

3) Keine Rechtfertigung des Eingriffs
a) Einschränkbarkeit
Der Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsäußerungsfreiheit unterliegt dem Vorbehalt einer allgemeinen formellen gesetzlichen Grundlage . Als solche hat das Gericht seine Entscheidung auf §102 StPO gestützt. Die Verfassungsmäßigkeit des §102 StPO wird an dieser Stelle nicht in Zweifel gezogen.
b) Verfassungsmäßigkeit des Beschlusses

(1) Anwendung des §102 StPO

Jarass/Pieroth, Art.5 Rn.9
Jarass/Pieroth, Art.5 Rn.9; Sachs Art.5 Rn.26a, 44
BVerfGE 116, 202, 222; Jarass/Pieroth Vor Art.1 Rn.28
Zippelius/Würtenberger 26/68


Die konkrete Anwendung des §102 StPO verletzt den Betroffenen in seinem Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit.

So ist es unstreitig, dass ein Bericht selbst über unzweifelhaft rechtswidrige Äußerungen erlaubt ist . Abzustellen ist in solchen Fällen alleine darauf, ob der Betroffene sich die Äußerung zu eigen gemacht hat .

Die Beschlüsse von Amtsgericht und Landgericht sind in diesem Punkt allerdings oberflächlich: Alleine aufgrund des gesetzten mittelbaren Links wird behauptet, der Beschwerdeführer hätte sich die Inhalte zu eigen gemacht. Warum der konkrete Link ein besonderer Link ist, der alleine durch seine Existenz die Annahme eines „Zueigen-Machens“ rechtfertigt, wird aber nicht erläutert.

Vielmehr ist es so, dass vorliegend ein Link auf einen einzelnen Beitrag einer externen Seite verwendet wurde, also die normale und übliche Form der Verlinkung. Somit aber wäre gleich jeder Hyperlink automatisch ein „Zueigen-Machen“.

Dies entspricht aber nicht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das Bundesverfassungsgericht verlangt gesonderte Kriterien, gerade um zwischen dem Verweis auf eine Meinung und dem Zueigen-Machen zu unterscheiden - dies auch, um den Vorgaben des Art.5 GG gerecht zu werden. Gerade diese Vorgabe aber beachten Amtsgericht und Landgericht nicht, da sie die Bedeutung des Art.5 GG gänzlich verkennen.

Auch darüber hinaus hat das Gericht bei dem Rückgriff auf den §102 StPO verkannt, dass es sich bei dem betroffenen Artikel des Beschwerdeführers um eine Meinungsäußerung handelt. Amtsgericht und Landgericht hätten im Detail prüfen müssen, inwiefern der Eingriff, angesichts der Betroffenheit des Art.5 I GG, verhältnismäßig war.

(2) Verhältnismäßigkeit
Sofern auf die potenzielle Verbreitung und den möglichen Besitz von Kinderpornografie abgestellt wird, erscheint die Maßnahme der Durchsuchung zwar generell geeignet, doch schon bei der Erforderlichkeit drängen sich ernste Zweifel auf.

So ist schon fraglich, ob nicht mildere und zugleich effektiviere Mittel existieren, etwa indem gegen die Seite vorgegangen wird, die die Inhalte bereitstellt. In jüngerer Vergangenheit wurde nachgewiesen, dass es problemlos möglich ist, auch im internationalen Ausland liegende Webseiten in kürzester Zeit abschalten zu lassen.

BVerfG 1 BvR 865/00, 1 BvR 1936/05
BVerfG 1 BvR 865/00, 1 BvR 1936/05
BVerfG 1 BvR 865/00, 1 BvR 1936/05

So demonstriert Anfang März 2009 von CareChild, die mit nur 8h Arbeit als private Organisation die Abschaltung mehrerer Angebote erreicht haben. Meldung dazu unter: http://www.carechild.de/news/politik/internetzensur_carechild_versuch_blamiert_deutsche_politiker_566_1.html


Anstelle also gegen eine unbestimmte Vielzahl von Webseiten vorzugehen, die auf eine einzelne Webseite verweisen, wäre es sehr viel grundrechtsschonender und auch möglich, gegen die einzelne Seite gezielt vorzugehen.

Hinzu kommt die Tatsache, dass Kinderpornografie ein international geächtetes Delikt ist und auch auf rechtlicher Ebene ein direktes Vorgehen auch grenzüberschreitend möglich ist. Somit besteht im Ergebnis schon gar kein Grund, einen derart tiefen Eingriff in die Meinungsfreiheit vorzunehmen.

Auch geht es im konkreten Fall nicht um einen direkten Link, also einen unmittelbaren Hinweis auf kinderpornografisches Material, sondern um einen Link zu einem Beitrag, der wiederum die Liste verlinkt hat, die wiederum erst zu entsprechenden Seiten verlinkt hat.

Der Ansatzpunkt wäre insofern nicht nur grundrechtsschonender, sondern effektiver bei den direkten Verweisen zu wählen. Zwar sprechen Amtsgericht und Landgericht in ihren Beschlüssen von einer „Sprungmarke“, die gezielt zu den Seiten geführt haben soll – wie das aber bei 3 notwendigen Umwegen praktisch aussehen soll, wird nicht vertieft.

Es bleibt damit offen, wie man überhaupt über die Tatsache berichten und sich eine Meinung bilden können soll, dass Sperrlisten diskutiert werden und hier bei schon vorhandenen Praxisbeispielen Probleme in der Anwendung bestehen. Dabei ist zu bedenken, dass die Meinungsäußerungsfreiheit für die freiheitlich demokratische Grundordnung ein konstituierendes Grundrecht ist , das besonders dem demokratischen Prozess dient .

Diese Bedeutung ist ganz besonders bei diskutierten Gesetzesvorhaben zu beachten, so natürlich auch bei der zurzeit diskutierten „Sperrung“ von Webseiten. Die Bürger müssen darüber diskutieren können, welche Vorzüge und Nachteile ein gesetzliches Vorhaben mit sich bringt, der Blick auf Beispiele aus dem Ausland ist dabei besonders wichtig.

Der Staat darf sich hier auch nicht der Kontrolle entziehen: Die Transparenz staatlicher Entscheidungen, speziell im Bereich der Gesetzgebung, ist ein wesentlicher Ausfluss des Demokratieprinzips , und muss hier wertend in die Betrachtung mit einbezogen werden. Eben diese Transparenz kann aber nicht mehr existieren, wenn in der Diskussion über bestehende Praxis-Beispiele jeder auch nur mittelbare Hinweis auf eine frei verfügbare Beispielliste gleich zu erheblichen strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen führt.

Nicht nur beim Beschwerdeführer, sondern in der gesamten Öffentlichkeit wird somit eine Unsicherheit geschaffen, was die eventuellen Konsequenzen einer zielgerichteten Meinungsäußerung zum Thema angeht. Das Ziel, bei einem einzelnen potenziellen Konsumenten ggfs. einschlägige Schriften aufzufinden, steht – gefußt auf vage Vermutungen als Grundlage eines vermeintlichen Verdachts – offensichtlich außer Verhältnis zu der

So u.a. durch Art.19 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes sowie dem 2. Fakultativprotokoll zu dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes die faktisch weltweit von Staaten unterzeichnet sind.
BVerfGE 62, 230, 247; Zippelius/Würtenberger 26/77
BVerfGE 82, 272, 281; Zippelius/Würtenberger 26/77; Sachs Art.5 Rn.46a
BVerfGE 40, 296, 327


Gefahr, die sich hier für das für die Demokratie so wichtige Grundrecht Meinungsäußerungsfreiheit ergibt.

Nicht zuletzt angesichts dieser enormen Breitenwirkung ergeben sich starke Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der angeordneten Maßnahme. Gerade die Leichtigkeit, mit der hier ein Verdacht angenommen wird, steht nicht im Verhältnis zu der beschränkenden Wirkung der Meinungsäußerungsfreiheit von Beschuldigtem und Öffentlichkeit. So muss zumindest ein greifbarer Verdacht vorliegen, keinesfalls darf eine vage Vermutung Grundlage für einen schwerwiegenden Eingriff sein .

Erschwerend hinzu kommt die Tatsache, dass für das zu schützende Rechtsgut gar kein Schutzeffekt erreicht wird: Der erheblichen Gefährdung der Meinungsäußerungsfreiheit steht ein nicht zu erwartender Gewinn an Sicherheit gegenüber. Selbst wenn man in diesem Rahmen – wie das Landgericht - auf eine „absolute Pönalisierung“ abstellt, so darf diese nicht dazu führen, dass man über das Thema gar nicht mehr sprechen darf, nicht zuletzt weil zu einer Pönalisierung auch immer die gesellschaftliche Diskussion und der gesellschaftliche Rückhalt der Norm gehören.

Diese wird aber im Ergebnis faktisch unmöglich gemacht, da weder der Beschwerdeführer noch sonst ein Bürger sich konkret mit dem Thema beschäftigen werden, wenn jederzeit eine Hausdurchsuchung in Verbindung mit dem gesellschaftlich besonders stigmatisierendem Vorwurf des Besitzes kinderpornografischer Werke befürchtet werden muss.

Ebenfalls ist zu beachten, dass die Meinungsfreiheit besonders hoch zu gewichten ist, wenn sie genutzt wird, um die Bildung der öffentlichen Meinung anzuregen oder zu beeinflussen . Vorliegend geht es dem Beschwerdeführer gerade um die Beeinflussung der öffentlichen Meinung, um die Anregung einer kritischen Diskussion zum Thema „Zensur im Internet“.

Dass die Publizierung dieser Liste als Informationsquelle dazu dient, sich kritisch mit dem Thema auseinanderzusetzen wird auch dadurch verdeutlicht, dass die Presse sich auf diese Liste bezogen und als Argument genutzt hat . Insbesondere der betroffene Link, außerdem der Artikel, in dem der Link genutzt wurde, sind eindeutig in den Dienst der öffentlichen Meinung gestellt, was somit eine besonders hohe Gewichtung abverlangt.

Landgericht, aber auch Amtsgericht haben den Art.5 GG nicht thematisiert. Ganz besonders wurde die Frage der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs, gemessen am Art. 5 GG, gar nicht erst gestellt. Der Beschluss des Landgerichts verkennt daher die Bedeutung des Art.5 GG, insbesondere die Unverhältnismäßigkeit der angeordneten Maßnahme.

In Anlehnung an BVerfG 2 BvR 728/05 in NStZ-RR 2006, S.110ff.
BVerfGE 7, 198, 212; Zippelius/Würtenberger 26/77
So etwa der Heise-Verlag sowohl auf Heise.de (dort auch mit Link) und in der c‘t


B. Informationsfreiheit, Art.5 I 1, 2. Alternative GG

1) Schutzbereich
Die angesprochene Liste ist eine allgemein zugängliche Quelle. Da es sich bei der Liste um einen Träger von Informationen handelt, ist sie problemlos als Quelle einzustufen. Problematisch könnte sein, dass die Liste keine offizielle Publikation des betroffenen ausländischen Staates ist, sondern über „Umwege“ auf die Internetseite „wikileaks“ gelangte, die indirekt vom Beschwerdeführer referenziert wurde.

Allerdings ist der Ursprung irrelevant, solange die Quelle geeignet und bestimmt ist, der Allgemeinheit Informationen zu beschaffen . Abzustellen ist alleine darauf, ob sie tatsächlich frei zugänglich ist oder nicht . Dabei fällt das Internet unter die Informationsfreiheit, solange die betroffene Information eben dergestalt – also allgemein – zugänglich ist .

Ob die Inhalte ursprünglich überhaupt zur Veröffentlichung bestimmt waren, spielt keine Rolle, solange sie letztlich allgemein zugänglich gemacht wurden . Dass die Quelle im Ausland liegt, ist nicht von Belang . Ob diese Liste letztlich rechtswidrig erlangt und publiziert wurde, ist nicht geklärt, aber im Ergebnis ohne Bedeutung, da der Staat das Merkmal der allgemeinen Zugänglichkeit nicht selbst über Vorschriften regeln kann und bei die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Fragen der potenzielle Rechtsbruch eine nur untergeordnete Bedeutung hat .

Es liegen überdies keine Anhaltspunkte vor, dass die ausländische Sperrliste rechtswirksam in Deutschland „geheim“ sein könnte, selbst wenn man eine entsprechende Geheimhaltung in den Herkunftsländern unterstellt. Aber auch über eine auf wirksamen Rechtsvorschriften beruhende Geheimhaltung in den Herkunftsländern ist noch nicht einmal bekannt.

Zum geschützten Verhalten gehört die schlichte Entgegennahme von Informationen ebenso wie das aktive Beschaffen.

Weiter mit Teil 3
geschrieben von K13online am 22.04.2009 - ID: 671 - 3097 mal gelesen Drucken

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