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Text - Das Protokoll(Dekadon)

Kommentare

Rezension von K13online
am 22.09.2010

Autor M.G. Dekadon hat für sein mutiges Buch die Form eines Theaterstückes gewählt, wobei erzählende Elemente mit einfliessen. Inhalt dieses düsteren Kammerspiels ist ein Strafprozess, der auf einer wahren Begebeneheit beruht.
Der zweite Teil des Buches ist fiktiv und entwirft ein Szenario in dem es möglich ist, einen kriminell und menschenverachtend agierenden Richter zur überführen und zur Verantwortung zu ziehen.
In diesem Prozess geht es um vermeintlichen "sexuellen Missbrauch" und ein überführter "Kinderschänder" soll vorgeführt, gedemütigt und abgeurteilt werden. Die dahinterliegende Geschichte ist jedoch eine andere; Es geht um eine Liebebeziehung zweier homosexueller Menschen, nur dass der Eine (Jannings) ein erwachsener Mann ist, während es sich bei dem Anderen (Marc) um einen 13 bzw. gerade 14 jährigen Jungen handelt. Genötigt durch seinen Vater hat der Junge Anzeige gegen seinen Freund erstattet. So nimmt ein entsetzlicher Schauprozess seinen Lauf. Mit ausgefeilten psychologischen Mitteln nimmt M. G. Dekadon die Beteiligten des Verfahrens insbesondere den erzkonserativen Richter Armadeck und die feministische "Sachverständige" Urla Waldt auseinander. Dem engagierten Verteidiger Becker in den Mund gelegt; werden die wahren Motive dieser Personen nach und nach ans Tageslicht geführt. Dieser gibt sich später als Ermittler des Justizministeriums zu erkennen, dessen Aufgabe es ist Richter zu überführen, die Gesetze missbrauchen um Menschen existenziell oder sogar physisch zu vernichten. Das der Hofnarr der Vorrede den Part des Staatsanwaltes Bendt übernimmt spricht für sich. Im Laufe der Geschichte wird die Blutspur deutlich, die der fromme CSU Richter hinter sich her zieht. Getrieben von einer zwanghaften Homophobie hat er immer wieder Homosexuelle zu hohen Haftstrafen verurteilt und/oder mit perfiden Mitteln in den Selbstmord getrieben, selbst ein Juristenkollege hat aufgrund Armadecks widerlicher Intrigen den Freitod gewählt. Allein wegen seiner Homosexualität wird der Junge Marc von dem Richter im Prozess bloßgestellt und gedemütigt. Im Grunde ist es Marc, den der Richter verurteilt. Die hohe Haftstrafe, die er gegen Jannings verhängt, soll dem Jungen eine Warnung sein und ihn dazu bringen seine eigene Homosexualität "abzulegen". Am Ende wird das Verfahren zwar für ungültig erklärt, aber sowohl Jannings als auch Marc bleiben tief gedemütigt zurück. Jannings erschiesst sich auf der Toilette...

Das gut und spannend zu lesende Buch (trotz einiger sehr langen Monologe) gehört sicherlich zu dem wichtigsten Veröffentlichen zu diesem Tabu-Thema in den letzten Jahren. Klar und deutlich und auf Tatsachen basierend wird ausgesprochen, was ausgesprochen werden muss! Dieser Staat ist kein Rechtstaat und Teile der Justiz agieren vorsätzlich menschenverachtend bzw. vernichtend und damit mit (durchaus) krimineller Energie. M.G. Dekadon rückt einen Teil der deutschen Justiz in die Nähe ihrer faschistischen Vergangenheit und erklärt gezielte Subversion unter zwingenden Umständen zur Tugend. Folgendes Zitat verdeutlicht dies: "...Aber der einzige Unterschied, den ich persönlich erkennen kann, ist dass ihr keine Bomben aufs Parlament schmeisst und es euch bei Ausländern, Homosexuellen, Kommunisten spart, sie nicht gleich reihenweise umzubringen. Das schien euch richtig unchristlich! Ansonsten ist euch jede Hetzjagd recht! "(S.286)
Dekadon führt dem Leser deutlich vor Augen, was passiert, wenn sich die faschistisch-konserative Tradition deutscher Justiz mit wahnhaften Ideologien, wie Christentum und Feminismus vereint. Das Ergbniss ist eine tödlich giftige übelriechende mörderische Brühe....(An Richter Armadeck gerichtet) "Ja haben Sie auch nur einen b l a s s e n Schimmer von moralischen oder ethischen Prinzipien? Von den Aufgaben ihres Amtes? Einer eigenen unabhängigen Moral, von dem Vertrag, den Sie mit uns geschlossen haben, und der Sie zur Unparteilichkeit v e r p f l i c h t e t ? - Haben sie in Ihrem verschissenen kleinen Spießerleben auch nur einmal z e h n verpisste Sekunden darüber nachgedacht, welchem Denkfehler Sie da seit dreißig Jahren aufsitzen!"(S. 234)

Auch wenn es nicht unbedingt dreißig Jahre sein müssen, aber es gibt nicht wenige Juristen im Staatsdienst in diesem Lande, die sich diese Frage gefallen lassen müssen und über eine ehrliche Antwort nachdenken sollten...

FrankZ.


Rezension von K13online
am 22.09.2010

Im Mittelpunkt steht die Tragödie des - vermutlich - homosexuellen Jungen Marc, dessen Problem konsequent übersehen wird, indem es um die Verurteilung eines anderen geht; und des Pädophilen Jannings - seinerseits eher ein gescheiterter Homosexueller als der Missbrauchsunhold des Volksglaubens. Je mehr sich für den Leser aber die tragische Wirklichkeit der beiden Antihelden vor Gericht auftut, desto bestürzter registriert er hinter der geordneten Fassade der Rechtsstaatlichkeit und des bürgerlichen Missbrauchsjargons eine ausgemachte Vergewaltigung des Einzelwesens durch sein selbstgerechtes bürgerliches Kollektiv. Bevor die ministerielle Kommission das Höllenszenario als Bewährungsprobe für einen Juristen enttarnt, mutiert der zu Beginn unscheinbare Prozess zu einem atemberaubenden und infamen Kesseltreiben gegen Aussenseiter - das sprichwörtlich jeden Prozessbeteiligten am Ende in den Abgrund gestürzt haben wird.

Dieser Handlungsfaden ist allerdings nur Vordergrund eines fein ziselierten Vexierspiels und Sittengemäldes um bürgerliche Abgründe und den psychologischen Zustand der gewendeten Gesellschaft: "Vor der Wiedervereinigung hatten die Leute ein Bedürfnis nach universeller Toleranz, nach der Wiedervereinigung haben sie ein Bedürfnis nach kurzen Prozessen." Ebenso wie das Duell des "durchgeprügelten Linken mit Stasi-Belastung" und Gesinnungsprüfers Stecher mit dem erzkonservativen Schurken im Talar, so ist auch das Missbrauchsthema nur Aufhänger für das Höllenspektakel und gleichnishaft in der Realisation: Im Prinzip ist "Das Protokoll" in allen seinen Erzählsträngen Versinnbildlichung eines alten Menschheitsthemas im modernen Kolorit: der mitleidlosen Vergewaltigung des Einzelwesens durch sein Kollektiv - hinter den Scheinrationalisierungen seiner Zeit, sonst wäre so was nie möglich. Letztlich ist "Das Protokoll" eine gründliche Abrechnung mit einem Parteien- und Mediensystem, das für Stimmen- und Quotenmaximierung bedenkenlos der bürgerlichen Mitte hofiert - bis sie wie ein wild gewordener Mob über ihre Aussenseiter herfällt.

Erwähnenswert ist abschliessend vielleicht, wie der Autor mit dem heiklen Aufhängerthema umgeht. Er kennt scheinbar nur zu gut das Dilemma, ein heikles Thema wie Kindesmissbrauch für jede hausbackene ideologische Politkritik zu missbrauchen - nichts anderes beklagt er, wenn er seinen Paria - den Pädophilen Jannings - durch ein ganzes Kollektiv eigensüchtiger Ideologen zerbrechen lässt: Einer feministischen Sachverständigen dient er als "Männertäter", einem erzkonservativen Staatsanwalt als "perverser Sittenstrolch", einem homosexuellenphobischen Richter als seelische Infektionskrankheit für junge Buben, und einer angewiderten Zuschauerrotte als Verwirklichung ihres Familiensinns. Das Problem, ein vielschichtiges Thema platt für hehre Ziele zu plakatieren, lehnt er als befasster Psychologe in diesem Bereich erkennbar ab. Statt dessen begründet er seine Einbettung des Themas, indem er differenziert einem Strafprozess und seinen Kontroversen Raum gibt: Kenntnisreich und hinter der spielerischen Handlung verborgen, weiß er um seine Verantwortung und gibt dahinter einen profunden wissenschaftlichen Abriss über facts & fiction des Feldes. Im Gedächtnis bleibt im "Protokoll" in diesem Zusammenhang vielleicht seine turbulente Vernehmung der "Sachverständigen Waldt". Hinter der fast aberwitzig-trockenen Spielhandlung verbirgt sich - komprimiert auf gerade mal 12 Seiten - eine forensische Auflistung der typischsten Begutachtungsfehler in der Sachverständigenszene. Mit anderen Worten: Er
b e g r ü n d e t, wieso er zu dem Schluss kommt, die derzeitige Missbrauchsdiskussion sei entartet, Hysterie und Vergewaltigung des stigmatisierten Einzelwesens. An einer Stelle geht z.B. hervor, eine banale Trias von Erhebungsfehlern durch heißgestrickte Aufdeckungs- und Aufklärungsmotive ("Rosentaleffekte, Pygmalyoneffekte sowie Stichprobenverzerrungen durch statistische Selbstselektion") seien wissenschaftlicherseits für die entstandene Hysterie in der Bevölkerung und Fachwelt verantwortlich. In der Tat erscheint die öffentliche Diskussion derzeit über Kindesmissbrauch am Ende seiner Tragödie fassadenhaft, unwirklich, voller virtual realities und - angesichts der real Betroffenen dahinter - wie ein gigantisches Potemkin´sches Dorf. Eine bürgerliche Schein- und Phantasiewelt, die mit der tragischen menschlichen Wirklichkeit oft ernüchternd wenig zu tun zu haben scheint - in der es vor Kindchenengeln und Tätermonstern nur so wimmelt. Die Tragödie des kleinen Marc wird hier hoffentlich für ein Umdenken sorgen, was eine demagogische, hasserfüllte Diskussion betroffenen Einzelwesen eigentlich angetan hat.


Andere Urteile: Der Fouque-Verlag: "Das Protokoll "(...) beeindruckt durch feine psychologische Zeichnung der Figuren. (...) Ein Buch über die Zwänge und das Verdrängte des Menschen (...) es ist unmöglich, zu diesem Buch keine Meinung zu haben." - Der Kontrast-Verlag: "Dramatisches Schauspiel mit viel Spannung und fundiertem Hintergrund, das durchaus auch für eine Verfilmung interessant wäre."


Meinung: Das Protokoll von DieterGieseking
am 10.04.2003

Mit den Augen des Psychologen und Forensikers behandelt Dekadons "Protokoll" ein ergreifendes Kinderschicksal vor dem Hintergrund der aktuellen Mißbrauchsdiskussion. Ein Mißbrauchsprozeß entpuppt sich nicht nur als Versinnbildlichung der Vergewaltigung des Einzelwesens durch sein Kollektiv, sondern als gigantische Inszenierung des Bundesjustizministeriums zur Überführung eines erzkonservativen Juristen und CSU-Parteimitglieds: Das 30 Jahre lang eine Blutspur sondergleichen im Strafrecht hinterlassen hat. Im Gedächnis bleiben wird vor allem das kindesentwicklungspsychologogische Psychogramm des homosexuellen Jungen Marc: Der seinen homosexuellen "Peiniger" am Ende -verdeckt hinter der Fassade des Missbrauchsjargons und der rechtlichen Bestimmungen- als Abschreckungsmaßname gegen seine Homosexualität aufgehängt sieht, nur weil er ihn in seinen Aussagen schützen wollte und für ihn gelogen hat.
Dekadons düstres Kammerspiel um den Mißbrauch mit dem Mißbrauch am Beispiel zweier Einzelschicksale und der zeitgenössischen Medienhatz gegen Pädophile ist eine verschlüsselte -und gründliche- Abrechnung mit einem Polit- und Mediensystem, dass zwecks Stimmen- und Ouotenmaximierung solange der bürgerlichen Mitte hofiert, bis sie wie ein wildgewordener Mob über ihre Minderheiten herfällt.

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