Rezension

Reinhard Knoppka: "Jenseits des Tales"

Der Roman beschreibt die Entwicklung und Lebensgeschichte eines Mannes, der Jungen mag und sie auf eine Weise liebt, die unsere heutige Gesellschaft nicht nur nicht toleriert, sondern unter Strafe stellt und mit allen Mitteln verfolgt.

Als Kind von der Mutter in ein katholisches Waisenhaus abgeschoben erlebt der Junge Luz eine entwurzelte Kindheit inmitten von frömmelnden, gefühlskalten Nonnen und von Jungen, zu denen er schon in dieser Zeit eine besondere Zuneigung entwickelt.

Über einen längeren Zeitraum nimmt zudem ein Priester seine nicht ganz freiwilligen "Liebesdienste" in Anspruch. Es folgen die Schilderungen seiner Jugend und Erwachsenenjahre. Gescheiterte Versuche, sich eine gesicherte berufliche Existenz aufzubauen, geglückte und misslungene Beziehungen zu Jungen und immer wieder Abstürze, Alkoholexzesse, zeichnen das Bild einer persönlichen Lebenskatastrophe.

In einer solchen Lebenskrise entdeckt er die Schriftstellerei und lernt einen Autor kennen, der mit viel Geduld sein Talent fördert.

Knoppka bietet dem Leser jedoch keine chronologisch aneinandergereihte Geschichte, sondern ein "Mäandern im Geist"; die Geschichte geht voran, driftet seitwärts ab und geht wieder weit in die Vergangenheit zurück. Zeiten, Episoden, Personen wechseln; es gibt Sprünge und Brüche. Mancher Faden wird später unter einem anderen Blickwinkel wieder aufgenommen.

Nebenbei erhält der Leser den einen oder anderen Einblick hinter die Kulissen der schwulen Verlags- und Literaturszene. Interessant insbesondere für diejenigen, denen schwule Buchläden, Verlage, einige Autoren und ihre Werke bekannt sind.

Ähnlich wie die "Lufträume" und später das "Netzwerk" des leider viel zu früh verstorbenen "Nils Engelmann" beinhaltet dieses Buch aber auch eine Anklage gegen die Gesellschaft, gegen den Staat und seine Erfüllungsgehilfen. Gegen Ende des Romans wird klar und deutlich ausgesprochen, dass nicht er und Seinesgleichen die Verbrecher sind, sondern Staat und Justiz mit ihren Handlangern.

Jede Minderheit, so auch die der Pädos, die unfreiwillig ins Unrecht gestossen, der offiziellen Verfolgung, wenn nicht gar Vernichtung preisgegeben wird, hat das natürliche Recht, sich mit allen Mitteln, seien sie auch noch so subversiv, zu wehren!

Gibt es Hoffnung auf die Verbesserung der Lage für die Pädos?

Der Roman präsentiert hier am Ende die noch recht junge Szene im Internet sowie die bestehenden Selbsthilfe- und Arbeitsgruppen und Grüppchen.

Sicher wird hier ein Anfang gemacht, denn es ist wichtig, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen und anderen den Rücken zu stärken und auch selbst Unterstützung zu finden.

Leider ist diese noch recht neue Pädo-Szene meistens damit beschäftigt, sich selbst ein Bein zu stellen.

Nach den "Engelmann"-Büchern ist mit Reinhard Knoppkas "Jenseits des Tales" eines der wichtigsten Bücher der Pädo-Literatur in den letzten Jahren erschienen, mögen noch viele weitere folgen, denn die Verbreitung von (ungewohntem) Gedankengut ist die Grundvoraussetzung, um in der Zukunft ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, in dem Veränderung möglich ist.

Frank Freitag

Hamburg im Dezember 2002