Interview mit Dipl.-Psych. Christoph Joseph Ahlers (Charite)

Interview mit Dipl.-Psych. Christoph Joseph Ahlers, Klinischer Psychologe und Sexualtherapeut am Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin (Direktor: Prof. Dr. Dr. K. M. Beier), Universitätsklinikum Charite Campus Mitte. Ahlers ist Klinischer und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut und Koordinator des jetzt beginnenden „Präventionsprojektes Dunkelfeld“. 
 
 

 
K13online: Am Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Berliner Charite begann im Januar 2005 ein bisher einmaliges Projekt mit dem Thema "Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch im Dunkelfeld". Für das 3-jährige Forschungsprojekt suchen Sie noch bereitwillige, pädophile Teilnehmer. Welche Voraussetzungen müssen vorhanden sein und welche Auskünfte würden Sie einem Pädophilen geben, um ihn vom Sinn und Zweck einer Teilnahme zu überzeugen ? 
 
Ahlers: Wir suchen keine „bereitwilligen, pädophilen Teilnehmer“, sondern unser Angebot richtet sich an Männer, die auf Kinder gerichtete sexuelle Phantasien haben und deswegen von sich aus therapeutische Hilfe suchen, weil sie befürchten, möglicherweise sexuelle Übergriffe auf Kinder begehen zu können, was sie aber selber nicht wollen. Das bedeutet, dass wir niemanden von irgendetwas überzeugen möchten, sondern ein Angebot bereitstellen für Männer, die ohne Druck von außen oder von anderer Stelle Hilfe dabei wollen, mit ihren auf Kinder bezogenen sexuellen Phantasien, Impulsen und Bedürfnissen so umzugehen, dass kein Schaden entsteht.

Voraussetzung für die Teilnahme am „Präventionsprojekt Dunkelfeld“ ist also der eigene Wunsch von Betroffenen, sich mit ihren sexuellen Bedürfnissen auseinanderzusetzen und sich beim Erlernen eines verantwortungsvollen Umgangs mit sexuellen Neigungen zu Kindern helfen lassen zu wollen.

Unsere Auskünfte beziehen sich im Wesentlichen darauf, dass das verantwortungsvolle Zurechtkommen mit einer sexuellen Ausrichtung auf Kinder nach Darstellung unserer bisherigen Patienten eine große Herausforderung und Anstrengung darstellt, bei der jeder Betroffene professionelle Hilfe gebrauchen könnte. Solche Hilfe können wir im Rahmen unseres Projektes jetzt Dank der Unterstützung der Volkswagen-Stiftung in begrenztem Umfang zur Verfügung stellen.
 

 
K13online: Wie Sie sicherlich aus ihrer bisherigen Praxis mit Pädophilen wissen ist die überwiegende Mehrheit der Pädophilen der Ansicht, dass einvernehmliche Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen keine Schäden bei Jungen oder Mädchen anrichten. Welche Erfahrungen liegen Ihnen diesbezüglich vor, und welche Positionen vertreten Sie? 
 
Ahlers: Um diese Frage beantworten zu können, müsste man sowohl definieren, was unter „einvernehmliche Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen“, als auch unter „Schäden“ verstanden werden soll. Die Männer, die sich bisher hilfesuchend an die Sexualmedizinische Ambulanz der Charite gewandt haben, hatten überwiegend das Wohl von Kindern im Auge. Sie befürchteten aber, aufgrund ihrer sexuellen Erregbarkeit durch vorpubertäre Kinderkörper eines Tages sexuelle Handlungen vor, an oder mit Kindern vornehmen zu können, bei denen nicht mehr das Wohl des Kindes als Maßstab ihres Verhaltens im Vordergrund steht, sondern die Befriedigung ihrer eigenen sexuellen Bedürfnisse. Um das Wohl von Kindern als verbindlichen Maßstab ihres Verhaltens im Auge behalten zu können, wollten sie Hilfe und wir haben uns bemüht, solche Hilfe zu gewährleisten.

Aus unserer Sicht erwächst aus einer „einvernehmlichen Beziehung“ zwischen Kindern und Erwachsenen solange kein Schaden für ein Kind, wie es sich nicht um eine Sexualbeziehung handelt.
So lange das Wohl des Kindes den einzig relevanten Maßstab für das Verhalten des Erwachsenen darstellt, können Kinder von Beziehungen zu Erwachsenen profitieren. Sobald aber sexuelles Interesse eines Erwachsenen am vorpubertären Kinderkörper zum motivationalen Hintergrund für das Verhalten des Erwachsenen wird, ist eine solche Beziehung für ein Kind potentiell schädlich.

Einvernehmliche Sexualbeziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern gibt es nicht. Ein Kind kann aus entwicklungspsychologischen Gründen nicht „einvernehmlich“ in sexuelle Interaktionen einwilligen, weil es noch gar nicht über entsprechende Konzepte verfügt, die hierfür notwendig sind bzw. wären. Viele Betroffene sehen das im Übrigen genau so, was auch aus Stellungnahmen hervorgeht, in denen sie über ihren Umgang mit ihrer Pädophilie berichten (vgl. z.B. marco, 2004, verantwortung-fuer-kinder.de.ms).

Jedes Kind will und braucht vertrauensvolle, zwischenmenschliche Beziehungen und Bindungen zu Erwachsenen. Jedes Kind will und braucht in diesem Rahmen auch liebevollen zärtlichen und geborgenheits-spendenden Körperkontakt mit primären, erwachsenen Bezugspersonen.

Kein Kind aber braucht (geschweige denn will) von Erwachsenen vorgenommene genitale Manipulation, sexuelle Stimulation oder gar orale, vaginale oder anale Penetration. Das sind sexuelle Praktiken, die alleine von Erwachsenen aus- und an den natürlichen Interessen, Erwartungen und Bedürfnissen von Kindern vollständig vorbei gehen.

Erwachsene, die solche sexuellen Praktiken vor, an oder sogar mit Kindern durchführen, missbrauchen das Vertrauen von Kindern in den Schutz durch Erwachsene. Aus diesem Grund sind derartige Handlungen zurecht unter dem Begriff „Sexueller Missbrauch von Kindern“ strafrechtlich bewehrt, egal, ob der Täter pädophil ist oder nicht.

Stereotype Scheinargumente wie „Kinder haben eigene sexuelle Bedürfnisse“ oder „Kinder müssen sexuell erweckt und initiiert werden“, werden aus sexualmedizinischer Sicht in erster Linie als Rechtfertigungsbemühungen aufgefasst. Solche Betroffenen projizieren ihre eigenen sexuellen Bedürfnisse auf Kinder und versuchen dafür mühselig und vergeblich Rechtfertigungen und Selbstentschuldigungen zu finden, um die Verantwortung für ihr eigenes sexuelles Verhalten nicht selbstständig übernehmen und tragen zu müssen.

Genau hier setzt eine Behandlung an, vorausgesetzt, der Betroffene möchte Hilfe im verantwortungsvollen Umgang mit seinen sexuellen Impulsen bezogen auf Kinder. Die überwiegende Mehrzahl der hiesigen Patienten hatte diese unreifen, weil falschen Versuche der Problembewältigung bereits hinter sich, als sie sich hier vorstellten oder überwanden diese im Prozess einer Therapie.

Zur Sicherheit also noch einmal:
Kinder sind sexuelle Wesen, Kinder interessieren sich selbstverständlich für Sexualität und Kinder wollen liebevollen Körperkontakt mit primären, erwachsenen Bezugspersonen. Aber kein Kind will und braucht von Erwachsenen vorgenommene genitale Manipulation, sexuelle Stimulation oder gar orale, vaginale oder anale Penetration. Das sind sexuelle Praktiken, die alleine von Erwachsenen aus- und an den natürlichen Interessen, Erwartungen und Bedürfnissen von Kindern vollständig vorbei gehen.
Das ist unsere Position zu diesem Thema.
 

 
K13online: Bereits im Sommer letzten Jahres wurde Ihr Forschungsprojekt der Öffentlichkeit vorgestellt und über die Medien verbreitet. Die ZDF-Sendung Mona Lisa, der WDR-Hörfunk 5, NTV, Spiegel-Online, Deutsche Welle und einige andere TV-Hörfunk und Printmedien haben berichtet. Sind Sie mit der bisherigen Berichterstattung zufrieden oder gab es unkorrekte bis falsche Berichte ? 
 
Ahlers: Die erste TV-Berichterstattung zu unseren Bemühungen um präventive Behandlungsmöglichkeiten für Pädophile erfolgte bereits im Jahre 2001 durch den damaligen SFB (heute RBB) und anschließend durch das ZDF-Magazin „Frontal-21“. Im Großen und Ganzen ist es in der aktuellen Berichterstattung gelungen, Missverständnisse, Dramatisierungen und Falschdarstellungen zu verhindern. Wenige sensations-orientierte Boulevard-Berichte bilden hier eine Ausnahme und bestätigen die Regel, dass die ganz überwiegende Mehrzahl aller Journalisten an einer sachlichen Berichterstattung auf der Inhaltsebene interessiert war. 
 
K13online: Das Forschungsprojekt wird mit über 500.000,00 € von der Volkswagenstiftung finanziert. Zum Einen ist dieser zur Verfügung gestellte hohe Betrag lobenswert, aber besteht dabei nicht die Gefahr der Einflussnahme auf die Ergebnisse der Studie ? 
 
Ahlers: Eine „Einflussnahme auf die Ergebnisse“ ist ausgeschlossen. Bei der Finanzierung durch die Volkswagen-Stiftung genau so, wie bei der Finanzierung durch jede andere offizielle Institution der Forschungsförderung (z.B. BMBF oder DFG). Die Entscheidungen über die Finanzierung von Forschungsprojekten werden auf der Grundlage von Gutachten getroffen, die von internationalen, unabhängigen Sachverständigen zu den jeweiligen Projektanträgen erstellt werden. Eine wie auch immer geartete Einflussnahme auf die Ergebnisse unserer wissenschaftlichen Arbeit ist ausgeschlossen. 
 
K13online: Die Pädophilenszene im Internet und darüber hinaus steht ihrem Forschungsprojekt und der damit verbundenen Studie sehr kritisch gegenüber. Gleichzeitig erhofft man sich, dass Sie zu dem Ergebnis kommen, einvernehmliche Beziehungen seien die Regel und Gewaltanwendung die Ausnahme. Wie schätzen Sie das Verhältnis zwischen Gewalt und Liebe ein ? 
 
Ahlers: Wir können nicht beurteilen, was „die Pädophilenszene“ ist oder sein soll. Unserer klinischen Erfahrung nach existiert eine solche scheinbar homogene „Pädophilenszene“ genauso wenig, wie eine geschlossene „Sado- / Masochisten-Szene“ oder eine homogene „Fetischisten-Szene“. Die Menschen, die sich wegen sexueller Impulse bezogen auf Kinder in der Sexualmedizinischen Ambulanz der Charite vorstellen sind so unterschiedlich wie jede andere Gruppierung auch. Der einzige klar benennbare, gemeinsame Faktor scheint aus unserer Sicht eine sexuelle Ausrichtung auf Kinder zu sein.

Die uns zugetragene Resonanz auf unsere Initiative war bei Betroffenen bisher ganz überwiegend positiv. Wir konnten hier keinen dominierenden negativen Meinungstrend feststellen und können auch nicht beurteilen, ob Internetkommunikation in diesem Kontext als repräsentativ anzusehen ist. Fest steht, dass wir seit der Veröffentlichung des Projektvorhabens durch die Volkswagen-Stiftung im letzten Jahr bis zum heutigen Tage kontinuierlich Spontananmeldungen erhalten, obwohl unsere eigene Medienkampagne, mit der wir auf unser Angebot aufmerksam machen wollen, voraussichtlich erst im März dieses Jahres anlaufen wird.

Ziel unseres „Präventionsprojektes Dunkelfeld“ ist nicht herauszufinden, „ob einvernehmliche Beziehungen die Regel und Gewaltanwendung die Ausnahme seien“. Ziel unseres Projektes ist es, darauf hinzuweisen, dass es Männer gibt, die sexuelle Impulse bezogen auf Kinder erleben, deswegen von sich aus Hilfe wollen, um zu lernen, so mit ihren Gefühlen umzugehen, dass kein Kind Schaden nimmt. Solche Betroffenen erhalten bisher in unserem Gesundheitssystem so gut wie keine Versorgung, ihnen wird kein Patientenstatus zuerkannt. Dabei lösen mögliche Symptome ihrer Problematik (pädosexuelle Übergriffe) Abscheu, Entsetzten und Hilflosigkeit aus. Trotzdem wurden bis dato keine Versorgungsstrukturen zur präventiven Behandlung geschaffen. Hierfür wollen wir mit unserem Projekt eine wissenschaftlich fundierte Grundlage schaffen. Das zweite Ziel unseres Projektes besteht darin zu zeigen, dass es zuverlässige Diagnostik und wirksame Behandlung in diesem Problembereich geben kann, wenn Diagnostik und Behandlung sachverständig durchgeführt werden. Und drittens wollen wir zeigen, dass man die Wirksamkeit einer fachgerechten Behandlung dann auch messen kann. 
 
 

 
K13online: Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen mit der Behandlung von Pädophilen? 
 
Ahlers: Unsere klinischen Erfahrungen aus der Sexualmedizinischen Ambulanz der Charite zeigen, dass die meisten Beziehungen zwischen tatsächlichen Pädophilen (d.h., Männer die sexuell ausschließlich oder überwiegend auf vorpubertäre Kinderkörper ausgerichtet sind) und Kindern (überwiegend Jungen) dann gewaltfrei und für die betroffenen Kinder weitestgehend unschädlich verlaufen, wenn die betroffenen Männer bereit und in der Lage sind, die vollständige und bedingungslose Verantwortung für Ihr (insbesondere sexuelles) Verhalten in jeder erdenklichen Konstellation und Situation zu übernehmen. Das bedeutet konkret, dass sie sich selbst innerlich bedingungslos verpflichten, Kontaktsituationen mit Kindern unter keinen Umständen zu sexualisieren.

Den Hintergrund für die therapeutische Herangehensweise unseres Behandlungsansatzes bildet die klinische Praxiserfahrung mit der sexualmedizinischen Behandlung von Pädophilen: Hier zeigt sich, dass sich bei tatsächlichen Pädophilen das Interesse am Kinde eben nicht – wie häufig fälschlich dargestellt – in „sexueller Triebbefriedigung“ erschöpft, sondern sich viel mehr ganzheitlich auf das Kind als Kontaktperson und Beziehungspartner richtet. Sexualität nimmt dabei quasi den selben Raum ein, wie in Beziehungen zwischen altersähnlichen Partnern auch. Dass ein Kind auch kein ebenbürtiger Sozial- und Beziehungspartner sein kann und auch nicht zu sein braucht, müssen Pädophile in der Regel ebenfalls mühsam lernen, wobei therapeutische Hilfe äußerst nützlich ist.
Der zentrale Unterschied zu Erwachsenen-Beziehungen besteht aber darin, dass sexuelle Bedürfnisse mit einem Kind kategorisch nicht ausgelebt werden können. Sexuelle Bedürfnisse können sich pädophil empfindende Menschen ausschließlich in Form von Selbstbefriedigung erfüllen.
Bei Pädophilen, die das für sich akzeptieren und selbst innerlich wollen, dass es zu keinen sexuellen Handlungen kommen soll und darf, gelingt dann in der Regel eine Beziehung zu Kindern, durch welche keinerlei Schäden zu erwarten sind. Bei diesem Therapieziel unterstützen wir Betroffene, die diesbezüglich Hilfe wollen.

Hierin liegt gerade die größte Herausforderungen im Umgang mit dieser Problematik: Die Betroffenen müssen lernen zu akzeptieren, dass sie ihre sexuellen Wünsche niemals realisieren können, genau wie Menschen mit anderen Erkrankungen, die eine konkrete und reale sexuelle Kontaktaufnahme mit einem anderen Menschen verunmöglichen. Das kann Personen mit verschiedenen Erkrankungen betreffen: Zum Beispiel einige andere psychische und Verhaltensstörungen, wie schwere Formen von Persönlichkeitsstörungen, Angststörungen oder Körperkonzept-Störungen oder u.U. auch ausgeprägte neuropsychiatrische Erkrankungen. Aber auch einige körperlichen Erkrankungen, wie z.B. verschiedene Formen von geistiger und körperlicher Behinderungen, entstellende und / oder lähmende Unfallverletzungen oder Krebserkrankungen, z.B. im Uro-Genital-Bereich.

Nun muss dabei berücksichtigt werden, dass wir in der Sexualmedizinischen Ambulanz der Charite in Berlin natürlich ganz überwiegend solche Betroffenen kennen lernen, die bezüglich ihrer sexuellen Ausrichtung auf Kinder über ein Problembewusstsein verfügen, ggf. unter ihren dementsprechenden sexuellen Impulsen sogar leiden und deswegen von sich aus und ohne äußeren Druck Hilfe dabei wünschen, mit ihren sexuellen Bedürfnissen so umzugehen, dass kein Kind Schaden nimmt.

Fest steht, dass es auch Pädophile gibt, die mit ihren sexuellen Impulsen weniger verantwortungsvoll umgehen und die die Befriedigung ihrer sexuellen Bedürfnisse über das Wohl eines Kindes stellen. Für diese Betroffenen können wir hier nicht sprechen und denen können wir hier auch nicht helfen. Geholfen werden kann nur dem, der Hilfe wünscht. 
 

 
K13online: Wie ist die grundsätzliche Position Ihres Instituts zum Thema Pädophilie bzw. zum gesellschaftlichen Umgang mit Pädophilen und der Behandlung des Themas in der Öffentlichkeit? 
 
Ahlers: Bedauerlich ist, dass in der öffentlichen Diskussion zum Thema Pädophilie nicht zutreffend zwischen den verschiedenen zugehörigen Begriffen differenziert wird. Als Begründung für „sexuellen Missbrauch“ (rechtlicher Begriff) wird in den Medien in der Regel „Pädophilie“ (sexualmedizinischer Begriff) angeführt. Und dies, obwohl bekannt ist, dass die ganz überwiegende Mehrzahl von sexuellen Übergriffen auf Kinder im – meist familiären – sozialen Nahraum der Opferkinder verübt wird. Nämlich von (Stief-) Vätern, älteren (Stief-) Brüdern oder sonstigen nahe stehenden Verwandten (Onkel, Schwager, Cousin etc.), wozu thematisch eher der Begriff „Inzest“ gehören würde. Personen, die sexuell ausschließlich oder überwiegend auf vorpubertäre Kinderkörper ausgerichtet sind, leben – nach den klinischen Erfahrungen der sexualmedizinischen Praxis – überwiegend nicht in festen Partnerschaften bzw. Sexualbeziehungen mit altersähnlichen Partnern und demzufolge i.d.R. auch nicht in den sozialen bzw. familiären Verhältnissen, in denen ein Großteil der Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch verübt werden. Außerdem ist in den Medien ungefähr seit Beginn des 21. Jh. ein Trend erkennbar, den Begriff „Pädophilie“ fälschlicherweise generell gegen den Begriff „Pädosexualität“ auszutauschen.

In der sexualmedizinischen Definition versteht man unter Pädophilie die ausschließliche oder überwiegende sexuelle Ansprechbarkeit durch vorpubertäre Kinderkörper. Über das Verhalten einer Person sagt der Begriff nichts aus, sondern lediglich über die sexuelle Präferenz. Eine Analogie bilden die sexualwissenschaftlichen Begriffe Homophilie und Homosexualität: Unter Homophilie versteht man die sexuelle Neigung zum eigenen (dem selben) Geschlecht. Über das tatsächlich realisierte Sexualverhalten sagt der Begriff nichts aus, sondern lediglich über die sexuelle Präferenz. Unter Homosexualität versteht man hingegen die realisierte sexuelle Lebensweise in gleichgeschlechtlichen Sexualbeziehungen.

Vor dem Hintergrund der über 100-jährigen Tradition der Sexualwissenschaft in Berlin möchten wir im Rahmen unseres „Präventionsprojektes Dunkelfeld“ darauf hinweisen, dass kein Mensch aufgrund seiner sexuellen Orientierung, Ausrichtung oder Neigung benachteiligt, ungleich behandelt oder gar bestraft werden darf.

Pädophilie stellt eine besondere Ausprägungsform einer sexuellen Präferenz dar, nämlich eine sexuelle Ausrichtung auf Kinder. Eine solche sexuelle Ausrichtung sucht man sich nicht aus und deswegen darf man sie auch niemandem zum Vorwurf machen. Die Betroffenen sind nicht schuld an ihren Gefühlen, aber sie sind verantwortlich für ihr Verhalten. Verurteilen und bestrafen kann man und muss man allerdings unrechtmäßige sexuelle Verhaltensweisen und Handlungen, wie beispielsweise sexuelle Übergriffe auf Kinder, und zwar unabhängig davon, ob ein Täter pädophil ist oder nicht. Aus diesem Grund unterscheidet man in der Sexualmedizin zwischen „Störungen der sexuellen Präferenz“ (z.B. Pädophilie) und „Störungen des sexuellen Verhaltens“ (z.B. sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung von Kindern).

Das bedeutet zusammengefasst, dass es aus sexualwissenschaftlicher Perspektive unrechtmäßig ist, eine Person aufgrund ihrer sexuellen Präferenz (z.B. Pädophilie) zu diskriminieren, geschweige denn zu verurteilen, aber zulässig und notwendig, das wegen sexueller Handlungen und Verhaltensweisen zu tun, durch die oder bei denen ein anderer Mensch Schaden nimmt (z.B. sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung von Kindern). Hierin besteht aus sexualwissenschaftlicher Sicht der Unterschied zwischen Pädophilie und pädosexuellen Handlungen.


K13online: Herr Ahlers, ich danke Ihnen für das Gespräch. 
 
 (Ersteinstellung am 15. März 2007 - aktualisiert am 9. November 2015)

geschrieben von K13online am 09.11.2015 - ID: 314 - 7978 mal gelesen Drucken

Copyright by K13-Online-Redaktion