Gigi 48: Loving Boys go Karlsruhe
Der Artikel ist in der Gigi-Ausgabe 48(März-April 2007) auf Seite 15 erschienen.

Loving Boys go Karlsruhe

Im Sommer 2003 überprüfte das Hamburger Wirtschafts- und Ordnungsamt, das Dieter G. zuvor einen Online-shop mit Büchern zur Pädophilie genehmigt hatte, die von G. verantwortete Website K13. In deren Literaturliste fand sie Edward Brongersmas indizierte, über 18-Jährigen vorbehaltene Studie "Loving Boys", versehen mit einer Wiedergabe des Klappentextes der deutschen Ausgabe sowie dem Hinweis: " Dieses Buch ist zur Zeit ab Verlag nicht mehr erhältlich".
Die Strafanzeige gegen G. mündete in ein Ermittlungsverfahren wegen der "Verbreitung pornographischer Schriften" gemäß § 184 StGB. Obwohl das Buch seit Jahren weder liefer- noch über K13 bestellbar war, wurde G. am 3. August 2006 vom Amtsgericht Hamburg-Altona verurteilt. Die Revisionsverhandlung am 10. November 2006 bestätigte die Vorinstanz; Gigi dokumentierte in Ausgabe 47 den am 20. November 2006 dem Beklagten zugestellten Beschluß des Dritten Strafsenats des Haseatischen Oberlandesgerichts unter dem Titel "Fahrenheit 184". Und das aus
triftigem Grund, berührt ein soches Urteil doch direkt die Freiheit von Wissenschaft, Kunst und Presse und steht über all dem die Frage: Machen sich Medien und Journalisten des "Anpreisens" strafbar und der Verletzung des Jugendschutzes schuldig, wenn sie auf die Existenz einst völlig legaler, später aber indizierter und seither nicht mehr legal erwerbbarer Werke hinweisen, sie zitieren oder ihren Inhalt öffentlich zur Debatte stellen?

G.s Münchener Anwalt Leonard Grassmann verfolgt naturgemäß zunächst das unmittelbare Interesse, die Verurteilung seines Mandanten zu revidieren. Da die Revisionsentscheidung aber unanfechtbar, mithin der Rechtsweg erschöpft ist, reichte er am Tag vor Fristablauf, dem 20. Dezember 2006, Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein. Die zu treffende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird indes weitreichende politische Folgen über den kontreten Fall hinaus haben.

Auf zwei wesentliche Punkte stützt der Verteidiger seine Beschwerdebegründung. Zum einen sei mit den Entscheidungen der Vorinstanzen das Grundrecht seines Mandanten auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG und des Grunsatzes "nulla poena sine lege" verletzt worden. Dieses "keine Strafe ohne Gesetz" verkörpert den Ursprung des Schuldprinzips. Eine Strafbarkeit ist demnach nur zulässig, wenn das zu bestrafende Verhalten bereits zum Zeitpunkt der Handlung mit entsprechender Strafe bedroht war. Beide Instanzen hätten jedoch "in der Tat des Beschwerdeführers fälsch das
Tatbestandsmerkmal des "Anpreisens" als verwirklicht gesehen, bei dem es aber "entscheidend" darauf ankomme, daß neben einer lobenden und empfehlenden Erwähnung und Beschreibung des jugendgefährdenden Erzeugnisses der Interessent zumindest konkludent auch auf Bezugsquellen aufmerksam gemacht wird". Graßmann verweist hierzu auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 4. November 1986, der hinsichtlich des Merkmals des Anpreisens darauf abgehoben habe, der Sinn der Vorschrift sei zu "verhindern, daß Personen unter 18 Jahren für indiziertes Material interessiert und auf mögliche Bezugsquellen aufmerksam gemacht werden". Ebenso werde in der Literatur, so im Systematischen Kommentar zum StGB "festgestllt, daß das Merkmal des "Anpreisens" zusätzlich einen Hinweis auf mögliche Bezugsquellen oder die Absicht, das beworbene Medium irgendwann zumindest einem Empfänger der Erklärung zugänglich zu machen, erfordert". Beide Gerichte hätten zwar explizit festgestellt, daß genau dies nicht der Fall war(Dieses Buch ist zur Zeit ab Verlag nicht mehr erhältlich), die BGH-Entscheidung aber nicht gewürdigt und im Gegensatz dazu für eine Strafbarkeit den nötigen Hinweis auf Bezugsquellen verneint. "Damit hat das Amtsgericht Hamburg-Altona und das Hanseatische OLG den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG, verletzt", so Graßmann, und in der Folge habe "das Hanseatische OLG auch den "nulla poena"-Grundsatz verletzt."

"Der Begriff des Anpreisens setzt seinem Sinn nach voraus, daß das angepriesene Objekt überhaupt (noch) existent ist", die "lobende Erwähnung" falle nicht darunter, erläutert der Anwalt abermals und beklagt: "Hierüber äußert sich das Hanseatische Oberlandgericht nicht. " Amts- wie das Oberlandesgericht hätten mit ihrer Begriffsinterpretation "den Bereich der zulässigen Auslegung" verlassen und "sich in den Bereich der unzulässigen Analogie zu Ungunsten des Beschwerdeführers" begeben. In dessen Sinne hätten sie auch nicht erörtert, ob aufgrund seiner Auffassung von "Anpreisen" nicht ein Verbotsirrtum oder ein Tatbestandsirrtum vorliegen könnte. "Auch hierdurch ist das Grundrecht auf rechtliches Gehör des Beschwerdeführers verletzt".

Den zweiten Beschwerdegrund sieht der Verteidiger in einer Verletzung des Grundrechts der Pressefreiheit und führt dazu aus, sein Mandant, den er wohlwollend aus "freien Journalisten" bezeichnet, betreibe "in Verfolgung seiner journalistischen Tätigkeit die Internet www.krumme13.org, auf welcher die beanstandete Bücherliste eingestellt war". G.s Ziel sei es, "über das Thema der Pädophilie zu berichten. Kommerzielle Zwecke wie etwa den Verkauf von Büchern verfolgt der Beschwerdeführer mit dieser Liste nicht. "Insbesondere betreibe er keinen Internetshop. Dann kommt Graßmann zum
pressrechtlichen Kern der Sache: " Auch über ein indiziertes Buch muß auf einer journalistischen Website mit dem Zitieren des Klappentextes berichtet werden dürfen; die Vorschrift des § 15 JuSchG ist hierbei im Lichte des Grundrechts der Pressefreiheit auszulegen. Hierbei ergibt sich eine - grundrechtskonforme- Auflegung des § 15 JuSchG dahingehend, daß der Begriff des "Anpreisens" enger auszulegen ist als bei einem kommerziell, etwas auf Verkauf derartiger Bücher ausgerichteten Unternehmen. Eine Gefährdung der Jugend kann durch das bloße journalistische Zitieren des Klappentextes, ohne Verkaufsabsicht, ausgeschlossen werden. Keinen Bezugsweg zu nennen sein "qualitativ nicht nur ein Weniger im Vergleich zu anpreisenden Werbetexten, sondern sogar gegenüber herkömllichen Buchbesprechungen in der Presse, in denen regelmäßig Verlag bzw. Bezugsquelle genannt werden. Eine Güterabwägung zwischen den Zielen des Jugendschutzes und der allgemeinen Meinungsfreiheit, insbesondere der Pressefreiheit hat in diesem Fall zur Folge, daß das Recht der Pressefreiheit höher zu bewerten ist".

Angesichts derart gravierender argumentativer Widersprüche kommt der Anwalt zu dem Schluß: "Hätte das Amtsgericht bzw. das Oberlandesgericht eine solche notwendige enge Auslegung des Begriffes "Anpreisen" vorgenommen, hätte es den Beschwerdeführer freisprechen müssen".

Eike Stedefeldt


Quelle:
http://gigi-online.de/

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http://k13-online.krumme13.eu/text.php?s=list&kid=49

Stellungnahme/Kommentar
Aus dem o.g. Artikel geht der folgende Sachverhalt nicht ganz eindeutig hervor bzw. könnte missverstanden werden. Deshalb erfolgt hier eine Richtigstellung: Der damals im Jahre 2003 geplante Online Shop wurde noch vor der offiziellen Eröffnung vom Ordnungs- und Wirtschaftsamt der Stadt Hamburg untersagt. Die Behörde hatte den legalen Shop zwar zuvor genehmigt, aber nach der öffentlichen Hatzkampagne der Medien und unter politischen Druck wurde diese Genehmigung aus vollkommen ungerechtfertigten Gründen zurück genommen. Es hat also zu keinem Zeitpunkt einen Online-Shop für einen gewerblichen Verkauf von Büchern gegeben. Das o.g. Verfahren bezog sich nur auf die K13online Redaktions-Webseite zur journalistischen Berichterstattung im Internet.
geschrieben von K13online am 03.03.2007 - ID: 515 - 3961 mal gelesen Drucken

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