Studie techn. Universität Dresden (Ergebnisse): Stigma Pädophilie



 
Zwischenbericht zur Studie: Der Einfluss von Stigma auf das psychische Wohlbefinden, psychosoziale Probleme, Einstellungen zu sexuellen Handlungen mit Kindern und Therapiebereitschaft bei Männern mit sexuellem Interesse an Kindern

Erstellt von Dipl.-Psych. Sara Jahnke 

Theoretischer Hintergrund: Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass Pädophile innerhalb der Bevölkerung selbst im Vergleich zu anderen stigmatisierten Gruppen stark abgewertet werden (Jahnke, Imhoff, & Hoyer, 2014; Feldman & Crandall, 2007). Da ein erhöhtes Risiko für soziale Isolation, geringen Selbstwert, psychische Störungen und suizidales Verhalten bei stigmatisierten Personengruppen in der Literatur häufig beschrieben wurde, vermuten wir, dass Angst vor Entdeckung gehäuft vorkommt und die Funktionsweise emotionaler, sozialer und kognitiver Bereiche beeinträchtigt sowie die Bereitschaft, im Bedarfsfall professionelle Hilfe aufzusuchen, reduziert. Dies könnte indirekt zu einer höheren Wahrscheinlichkeit von sexuellen Handlungen mit Kindern beitragen.

Die vermuteten Zusammenhänge sind in folgendem Schaubild dargestellt:

(Grafiken nur im Original-Dokument im unteren Link verfügbar)

Teilnehmer: Insgesamt nahmen von März 2014 bis Juni 2014 104 Männer mit sexuellem Interesse an Kindern an der Studie teil (Durchschnittsalter = 37 Jahre). Achtundsechzig Prozent gaben an, hauptsächlich an Kindern interessiert zu sein, der Rest berichtete, außerdem noch an Männern (52%), Frauen (33%) oder Personen beiderlei Geschlechts in ungefähr gleichem Ausmaß (15%) interessiert zu sein. Unter allen Teilnehmern war die Mehrzahl (83%) hauptsächlich oder eher an Erhöhung des Risikos für sexuelle Straftaten in Bezug auf Kinder Jungs interessiert (3% Jungen und Mädchen, 14% hauptsächlich oder eher Mädchen).

Fragebögen: Wir verwendeten eine Reihe selbstentwickelter Verfahren zur Messung der Therapiemotivation und der Stigma-Erfahrung und etablierter Skalen zu Facetten psychischen Wohlbefindens und Einstellungen zu sexuellen Kontakten mit Kindern. Die verwendeten Skalen sind im Folgenden dargestellt:

Stigma-Erfahrung: Perceived Social Distance Scale und Fear of Discovery Scale (beide selbstentwickelt

Pfad 1: Brief Symptom Inventory – 53, Fear of Negative Evaluation – 5, Rosenberg Self-Esteem

Scale, emotionsfokussierte Subskala des Coping Inventory for Stressful Situations

Pfad 2: UCLA Loneliness Scale

Pfad 3: Bumby Molest Scale, Self-Efficacy Scale Related to Minors

Pfad 4: Therapy Motivation Scale (selbstentwickelt)

Ergebnisse: Wir fanden ein hohes Maß an wahrgenommenen Stigma (63% glaubt z.B., die Mehrheit der Deutschen stimme zu, dass nicht straffällige Menschen mit sexuellem Interesse an Kindern besser tot seien) und eine hohe Angst vor Entdeckung (84% stimmen zu, dass sie Angst davor haben, dass ihre sexuellen Interessen von anderen herausgefunden werden könnten). Verglichen mit Daten aus einer kürzlichen Befragung in Dresden und Stuttgart (z.B. nur 14% Zustimmung, dass nicht straffällige Menschen mit sexuellem Interesse an Kindern besser tot seien, Jahnke, Imhoff, & Hoyer, 2014) zeigt sich eine starke Überschätzung des (bereits hoch ausgeprägten!) Stigmas gegenüber Menschen mit Pädophilie. Bezogen auf die vermuteten Zusammenhänge zwischen der Stigma Erfahrung (wahrgenommenes Stigma und Angst vor Entdeckung) und den Zielvariablen, ergab sich folgendes Ergebnis:

(Grafiken nur im Original-Dokument im unteren Link verfügbar)

Anmerkungen: Statistisch signifikante Zusammenhänge sind mit durchgezogenen Pfeilen eingetragen, nicht bestätigte Zusammenhänge mit gestrichelten Pfeilen. Alle Ergebnisse sind statistisch kontrolliert für Störvariablen wie Alter, Familienstand und Bildung (hierarchische Segression). Zusätzlich erklärte Varianz 2 Pfad 3: Schädigung des kognitiven Funktionsbereichs Erhöhung des Risikos für sexuelle Straftaten in Bezug auf Kinder Pfad 4: Verringerung der Motivation, Hilfe durch Stigma-Erfahrung zwischen 6% und 22%.

Diskussion und Ausblick: Die Ergebnisse legen nahe, dass Stigma gegenüber Personen mit sexuellem Interesse an Kindern zu einer Verschlechterung im emotionalen und sozialen Funktionsbereich beiträgt, vor allem, was das körperliche und psychische Wohlbefinden betrifft. Dabei schien es keine Bedeutung zu haben, wie stark das Stigma wahrgenommen wird. Dafür fanden wir Zusammenhänge zur Angst, dass das sexuelle Interesse von anderen entdeckt werden könnte. Die vermuteten Zusammenhänge zwischen der Stigma-Erfahrung und Variablen aus dem kognitiven Funktionsbereich (z.B. die Selbstwirksamkeitserwartung, sexuelle Impulse kontrollieren zu können) und der Motivation, sich bei Bedarf an Ärzte oder Psychotherapeuten zu wenden, konnten nicht bestätigt werden.

Agner Fog (1992) bezeichnete den Zustand von Personen, die aufgrund normabweichender sexueller Interessen von der Gesellschaft abgelehnt werden als „isolated minority syndrom“, und vermutete, sass aufgrund der Isolation und damit einhergehenden Unkenntnis angemessenen sexuellen Verhaltens extrem stereotype und unkontrollierte sexuelle Handlungen resultieren. Möglicherweise ist es den Teilnehmern durch die Vernetzung v.a. über Internetforen (und damit einhergehende Unterstützung durch andere Betroffene) gelungen, dieses „isolated minority syndrom“ zum Teil zu bewältigen, und damit einen kritischen Abstand zu stigmatisierende Annahmen in der Bevölkerung zu gewinnen (z.B. zu Stereotyp, dass sexuelle Impulse gegenüber Kindern von Pädophilen zwanghaft ausagiert werden). Erfreulich ist ebenfalls, dass die Bereitschaft, sich in Krisensituationen Hilfe zu uchen, nicht durch die Stigma-Erfahrung beeinträchtigt scheint.

Zur Gültigkeit der Ergebnisse ist einschränkend anzumerken, dass statistische Zusammenhänge, wie die hier gefundenen, nicht als Kausalzusammenhänge interpretiert werden dürfen. Das bedeutet, dass der gefundene Zusammenhang zwischen z.B. der Angst, entdeckt zu werden und einem schlechteren psychischen Befinden möglicherweise auch dadurch erklärt werden könnte, dass ein schlechter psychischer Zustand als kausaler Wirkfaktor dazu führt, dass Personen sich stärker stigmatisiert fühlen (statt umgekehrt). Weitere Forschung ist somit notwendig, um die Wirkung von Stigma auf Menschen mit Pädophilie besser zu verstehen, und die Richtung der Kausalzusammenhänge zu klären.


Quelle: Original-Dokument: 
http://www.krumme13.org/downloads/k13online%20redaktion/Kurzbericht-Studie.pdf



Aktueller Hinweis

Inzwischen ist ein erste Artikel in einer englischsprachigen Fachzeitschrift erschienen (Jahnke, Schmidt, Geradt, Hoyer: Stigma-Related Stress and Its Correlates Among Men with Pedophilic Sexual Interests. Archives of Sexual Behavior, 2015, Vol. 44(8)). 

http://link.springer.com/article/10.1007/s10508-015-0503-7

Darüber hinaus existiert ein Video-Vortrag zum Gesamt-Ergebnis der Studie:

https://www.soscisurvey.de/information_befragung_2014

Das Passwort für das Video lautet "nfPauS14".

Anfang 2016 wird dieses Studien-Projekt mit einer Folge-Umfrage vorgesetzt. Lese Sie auch das News hier:

http://krumme13.org/news.php?s=read&id=3186

(Ersteinstellung am 9. August 2014 - aktualisiert am 24. Oktober 2015)

geschrieben von K13online am 24.11.2015 - ID: 1125 - 4105 mal gelesen Drucken

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