SPIEGEL-Magazin 32/2014 - Interview mit dem Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof(BGH) Thomas Fischer: Es gibt kein Strafrecht der Moral
BGH-Richter Thomas Fischer zur geplanten Strafverschärfung des § 184 ff. StGB(Posing) & Kindernacktaufnahmen im § 201a StGB: "Die Forderung nach Ausdehnung des Pornografieverbots auf nicht-pornografisches Material halte ich für völlig überzogen

Die SPIEGEL-Redakteure Dietmar Hipp und Jan Fleischhauer haben mit dem Vorsitzenden Richter des 2. Strafsenates am Bundesgerichtshof(BGH) Thomas Fischer ein Interview geführt. Neben dem Mordparagrafen äußert sich Fischer auch zum Fall Edathy und die daraus entstandenen Forderungen zur Strafverschärfung des § 184 ff. StGB. Fischer hält eine Ausdehnung der geltenden Gesetze für völlig überzogen. Der Rechtswissenschaftler hält auch die gegenwärtige Strafbarkeit von virtueller Kinderpornografie für fragwürdig, weil dabei kein Kind missbraucht wird. "Wir müssen den von Pädophilie betroffenen Menschen doch Handlungsalternativen anbieten, die potenzielle Opfer schützen und zugleich den Betroffenen ein Leben ohne Kriminalisierung ermöglichen", so Fischer weiter: "Pädophilie ist ein Schicksal; es ist kein Plan, Straftäter zu werden". Das aktuelle Urteil des BVerfG zum Inzest-Paragrafen hält der Vorsitzende BGH-Richter für einen bemerkenswerten Ausrutscher. Ein solcher Straftatbestand ist in der heutigen Zeit illegitim und sollte nicht länger Aufrecht erhalten werden. Lesen Sie Auszüge auf dem SPIEGEL-Interview mit einem Klick auf mehr...

https://magazin.spiegel.de/digital/index_SP.html#SP/2014/32/128476243


http://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Fischer_(Jurist)

Zitate aus der SPIEGEL-Magazin Printausgabe 32/2014. Das Interview ist gegenwärtig online nicht verfügbar. Fragen Sie bei uns an!

SPIEGEL: Die gesellschaftlichen Einstellungen zur Sexualmoral haben sich deutlich liberalisiert, außer wenn es um Kinder geht. Da haben die Vorbehalte erkennbar zugenommen.

Fischer: Ich glaube, dass bei dem Thema Kinder und Sexualität ein großer Anteil von Irrationalität im Spiel ist. Wir erleben heute eine hysterisierte Überzeichnung, der eine empörende Gleichgültigkeit gegenüber zahllosen anderen Missständen entspricht. Wo es um sexuell motivierten Missbrauch erwachsener Macht gegenüber Kindern geht, ist die Gesellschaft in den vergangenen 15 Jahren regelrecht in einen Strafrausch ausgeflippt. Gleichzeitig bleibt sie fast unbeteiligt gegenüber Traumatisierungen durch nicht-sexuelle Gewalt.

SPIEGEL: Sie haben sich in einem Artikel in der Zeit in die Diskussion um die Ermittlungen gegen den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy eingeschaltet, dem Erwerb und Besitz von Kinderpornografie vorgeworfen wird. Sie hielten der Staatsanwaltschaft vor, vorschnell an die Öffentlichkeit gegangen zu sein.

Fischer: Der Fall Edathy war zum Zeitpunkt meines Beitrags kein Fall im strafrechtlichen Sinn. Es wurde nur behauptet, es sei ein Fall. Das war mein Grund, dazu zu schreiben.

SPIEGEL: „Bitte entschuldigen Sie, Herr Edathy“ hieß die Überschrift Ihres Artikels. War das nicht etwas verfrüht? Immerhin ist jetzt Anklage erhoben worden.

Fischer: Eine Anklage ändert nichts daran, dass zuvor Regeln verletzt wurden. Edathy war ein halbwegs prominenter Politiker, und schon die Äußerung eines solchen Verdachts ist heute fast zwangsläufig mit einer sozialen Vernichtung verbunden. Wenn private Medien das inszenieren, ist das verachtenswert, aber schwer zu verhindern.
Behörden dürfen dem aber keinesfalls eine Bühne bereiten. Für Edathy ist es fast gleichgültig, ob sich der Verdacht bestätigen wird oder nicht. Das hat in einem Rechtsstaat kein Beschuldigter verdient.

SPIEGEL: Videos von halb nackten Kindern fallen bisher nicht ohne Weiteres unter Kinderpornografie. Aber dass jemand, der solche Dinge bestellt, auch richtig böses Zeug zu Hause hat, ist doch nicht so fernliegend?

Fischer: Eine solche Betrachtung mag für den Stammtisch ausreichend sein, als handlungsleitende Maxime einer Staatsanwaltschaft ist sie es gewiss nicht. Der Staat darf nicht legales Verhalten zum Anlass nehmen, um in grundrechtlich geschützte Bereiche seiner Bürger einzudringen und dort nachzuforschen, ob es vielleicht irgendeine Straftat gegeben hat, die man verfolgen könnte. Wer sich legal verhält, darf nicht zum Gegenstand von Verdächtigungen und sozialer Vernichtung gemacht werden. Kein Bürger unseres Rechtsstaats hat das hinzunehmen; niemand würde das für sich selbst akzeptieren.

SPIEGEL: Anlässlich des Falls Edathy wird nun darüber diskutiert, den Besitz und Erwerb von Aufnahmen auch dann unter Strafe zu stellen, wenn diese keine expliziten sexuellen Handlungen zeigen, sondern etwa nur ein nacktes Kind in der Badewanne. Halten Sie das für legitim?

Fischer: Abgesehen von der Albernheit, die in der Exekution eines solchen Vorhabens steckt: Das Sexualleben seiner Bürger geht den Staat nichts an, solange nicht ernsthafte Verletzungen von Rechtsgütern vorliegen oder drohen. Daher ist die Pornografie straffrei. Mit allerlei Bedenken strafbar sind noch Kinderpornografie, Tierpornografie und Gewaltpornografie. Die Forderung nach Ausdehnung des Pornografieverbots auf nicht-pornografisches Material halte ich für völlig überzogen.

SPIEGEL: Das Argument für die Bestrafung von Kinderpornografie ist, dass sie einen Markt erzeugt, für den am Ende tatsächlich Kinder missbraucht werden.

Fischer: Solange eine Kette von Gefährdung nachvollziehbar ist, mögen Verbote legitim sein. Dass aber auch ein rein virtuelles, am Computer generiertes kinderpornografisches Bild zur Strafbarkeit des Nutzers führen soll, ist fragwürdig, weil hier in der Realität gerade kein Kind missbraucht wurde. Wir müssen den von Pädophilie betroffenen Menschen doch Handlungsalternativen anbieten, die potenzielle Opfer schützen und zugleich den Betroffenen ein Leben ohne Kriminalisierung ermöglichen. Pädophilie ist ein Schicksal; es ist kein Plan, Straftäter zu werden.


K13online Anmerkungen
Den Ausführungen des Vorsitzenden Richter des 2. Strafsenates beim BGH, Thomas Fischer, stimmen wir in allen wesentlichen Punkten zu. Deshalb bedarf es zum Inhalt seiner Antworten im Interview keiner weiteren Erläuterungen.

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ZEIT-Online: Das Recht lebt von klaren Grenzen zwischen erlaubtem und verbotenem Verhalten. Wer nichts Strafbares tut, den darf die Justiz nicht verfolgen. Im Fall Edathy wurde diese Regel missachtet - vom 08.03.2014
Deutscher Rechtswissenschaftler und Vorsitzender Richter des zweiten Strafsenats am Bundesgerichtshof Thomas Fischer: "Bitte entschuldigen Sie, Herr Edathy"
Der Deutsche Rechtswissenschaftler und Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof(BGH), Thomas Fischer, erläutert bei ZEIT-Online, warum das gesamte Verfahren gegen Sebastian Edathy UNRECHT ist. Damit bestätigt der Vorsitzende Richter am BGH auch die Rechtsauffassung von K13online sowie weiteren Rechtsexperten. Die bei Edathy durchgeführten Hausdurchsuchungsbeschlüsse waren rechtswidrig, weil vage Vermutungen für Straftaten eben nicht ausreichen, sondern konkrete Anhaltspunkte einen Verdacht begründen müssen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat diese Voraussetzungen festgesetzt. Edathy hatte legale FKK-Filme bei AZOV-Films gekauft. Daraus darf laut höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht geschlossen werden, dass er auch illegale Filme besitzen könnte. Auch die Staatsanwaltschaften und Amtsgerichte der anderen 600 AZOV-Fälle haben das Grundrecht auf die Unversehrtheit der Wohnungen der Justizopfer gebrochen. In seiner Gesamtheit stellt diese Justizwillkür der "Operation Stade" einen Justizskandal dar, der bisher in der Deutschen Rechtsgeschichte einmalig ist. Die bundesweiten Justizminister/Innen sind gefordert...
http://krumme13.org/news.php?s=read&id=2753

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STERN.de zur erneuten Verschärfung des Sexualstrafrechts: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) will die Regeln für den Umgang mit Nacktbildern von Kindern verschärfen - vom 12.04.2014
Der Entwurf folgt dem Rat von Experten, die Strafbarkeit „harmloser“ Nacktbilder in einem erweiterten Tatbestand des Paragrafen 201a als „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen“ zu regeln
Wie angekündigt hat der Bundesjustizminister Maas einen Referentenentwurf zur Reform des Sexualstrafrechts vorgelegt. Neben den im Koalitionsvertrag vereinbarten Verschärfung des § 174 StGB(Obhutsverhältnis), der Neueinführung des sogenannten Cyber-Groomings und der Verlängerung der Verjährungsfristen(Beginn von 21 auf 30 Jahre) soll auch bestraft werden wer "unbefugt eine bloßstellende Bildaufnahme von einer anderen Person herstellt oder überträgt. In dem Reformentwurf ist auch vorgesehen, Bilder von "ganz oder teilweise unbekleideten Kindern in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung" als Kinderpornografie einzustufen. Letzteres wird allerdings bereits jetzt im § 184b StGB erfasst. Der Begriff des "Posing" soll deutlicher bestimmt werden. Die Mainstream-Medien widersprechen sich in Ihrer Berichterstattung - und deshalb kann von K13online noch keine abschließende Bewertung vorgenommen werden. Das heimlich oder gegen den Willen des Kindes gemachte Nacktaufnahmen nicht verwendet werden dürfen, steht schon jetzt außer Frage. Dies trifft jedoch nicht auf die AZOV-Filme und alle anderen FKK-Filme/Fotos zu. Demnach würden alle bisher legalen Inhalte im Handel & Tausch auch weiterhin legal bleiben. Der neue Begriff "unbefugt" spielt offenbar eine zentrale Rolle bei der Verschärfung des Sexualstrafrechts...
http://krumme13.org/news.php?s=read&id=2792

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[update] K13online Aktivitäten: Verfassungsbeschwerde gegen die abgewiesene Revisions-Entscheidung, Anhörungsrüge und Befangenheitsantrag des Oberlandesgerichts(OLG) Karlsruhe - vom 05.08.2014
Schwerpunkt der Verfassungsbeschwerde ist der Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot(Art. 2, 20 und 103 GG): Gerügt wird der Rechtsbegriff "Posing" zu § 184b StGB und der Begriff "unnatürlich, geschlechtsbetonte/sexualbezogene Körperhaltung" zu § 15 JuSchG
Der Rechtsanwalt Leonard Graßmann/München hat für den Beschwerdeführer Dieter Gieseking(K13online) Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht(BVerfG) in Karlsruhe eingelegt. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich über den Einzelfall hinaus auch gegen die Entscheidungen des OLG Karlsruhe hinsichtlich der unbestimmten Rechtsbegriffe des sogenannten "Posing" zu § 184b StGB sowie der "unnatürlich, geschlechtsbetonte/sexualbezogene Körperhaltung" zu § 15 JuSchG. Beides verstößt gegen das im Grundgesetz garantierte Bestimmtheitsgebot. Mit diesem Teil der Beschwerde als Eingriff in den Schutzbereich des Artikels 103 II Grundgesetz erreicht die Rüge auch die Legislative & Judikative. Die Entscheidung des BVerfG wird deshalb auch von gesetzgeberischer und damit großer politischer Bedeutung sein. Das Bestimmtheitsgebot zu den unbestimmten Rechtsbegriffen wurde bisher durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung noch nicht gelöst. Auch auf die von Justizminister Heiko Maas(SPD) erneut geplanten Verschärfungen im Sexualstrafrecht könnte die Entscheidung des BVerfG erheblichen verfassungsrechtlichen Einfluss nehmen. Lesen Sie weiter mit einem Klick auf mehr...
http://krumme13.org/news.php?s=read&id=2869
geschrieben von K13online Redaktion am 07.08.2014 Drucken

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